Eine risikoreiche Hilfsaktion endet mit einem großen Erfolg

Am Ende ist alles gut gegangen. Die 14-jährige Kurdin Alia ist erfolgreich an den Augen operiert worden. Eines ihrer Augen war bei einem Bombenangriff irreparabel verletzt worden, das andere drohte seine Sehkraft zu verlieren. Nur eine Operation konnte ihr Augenlicht retten. Der Eingriff von vier Fachärzten in Aleppo war in jeder Hinsicht ein Kraftakt. In Lahr gab es viele Unwägbarkeiten, im kriegsgeschüttelten Syren ungleich mehr.

Allen voran hat sich Mirav Sido dafür engagiert, dass die junge Alia wieder Hoffnung haben kann. Die nach Deutschland geflohene Kurdin ist eine der Sprecherinnen des Freundeskreises Flüchtlinge Lahr und engagiert sich für andere Geflüchtete. Sie ist die Initiatorin der Spendenaktion. Dabei unterstützt wurde sie von Heimfried Furrer, ebenfalls ein Sprecher des Freundeskreises und von Klaus Schweizer, der im Freundeskreis für die Öffentlichkeirarbeit zuständig ist. Heimfried Furrer hat die Aktion protokolliert. Dabei geht es ihm nicht nur um die nackten Fakten, sondern auch um die Emotionen all der Menschen, die bei der Aktion involviert waren:


Titelfoto: Michael Bührke / pixelio.de

Mirav Sido vom Freundeskreis Flüchtlinge Lahr hat für die 14-jährige Alia eine Operation organisiert.


„Das Schicksal der gepeinigten Menschen in Afrin in Nordwest-Syrien, dem von der Türkei besetzten Teil des Landes, verfolgt Mirav Sido täglich über Nachrichtenkanäle und im telefonischen Kontakt mit Verwandten und Bekannten in ihrer Heimatstadt. Ein Bild schockierte sie und ließ sie nicht mehr los: Das Bild eines Mädchens, dessen Gesicht bei einem türkischen Bombenangriff durch Splitter verletzt, das Augenlicht zerstört oder beeinträchtigt war.

Lange gelang es Mirav Sido nicht, den Namen des Mädchens herauszufinden. Sie blieb aber hartnäckig in ihren Nachforschungen und erfuhr schließlich durch eine Verwandte, wie das Mädchen hieß: Alia Mustafa Arsalan. Und sie konnte telefonischen Kontakt zu dem Mädchen und ihrer Familie aufnehmen. Was sie erfuhr, war erschütternd. Als Afrin von türkischen Flugzeugen bombardiert wurde, beschloss Alias Familie zusammen mit Nachbarn, in eine sichere Gegend zu fliehen. Ihr Kleinbus wurde beschossen, die meisten Insassen wurden verletzt. Alias Oma starb vor den Augen der Familie. Alia und ihre Schwestern wurden verletzt, Alia am schwersten: Beide Augen wurden verletzt.

Während der heißen Phase der Spendenaktion hielt Mirav Sido den telefonischen Kontakt nach Syrien. – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge Lahr

Vielleicht konnte die Sehkraft auf beiden Augen gerettet werden, wenn man schnell handelte. Im Krankenhaus von Afrin gab es die Möglichkeit, komplizierte Operationen am Auge durchzuführen – vor der Bombardierung der Stadt, bei der das türkische Militär auch das Krankenhaus völlig zerstörte, in dem sich Alia gerade für die geplante OP aufhielt. Alle Menschen verließen fluchtartig das Krankenhaus. Alia konnte so nicht geholfen werden, ein Auge war dauerhaft verloren. Und um zu verhindern, dass sich die verbleibende Sehkraft des anderen Auges verschlechterte, brauchte sie Medikamente, wie auch gegen die Schmerzen, die von den Metallsplittern herrührten.

Wie konnte man Alia helfen? Ärzte aus Afrin waren nach Kurdistan / Irak geflohen, Mirav Sido stand in Kontakt mit einem dieser Ärzte, der sich bereit erklärte, die Operation durchzuführen. Kostenlos. Den Weg ins irakische Kurdistan aber hatten sowohl die Türken als auch die Assad-treuen syrischen Truppen inzwischen hermetisch abgeriegelt. Mirav Sido fand heraus, dass eine Operation in Aleppo möglich war. Diese war allerdings horrend teuer und für Alias Familie unerschwinglich. Und der Weg dahin musste durch Schlepper finanziert werden. Kurden müssen den arabischen Syrern für jede Ware und jede Dienstleistung besonders hohe Preise zahlen.

Heimfried Furrer verfasste die Texte für den Spendenaufruf. – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge Lahr

Da entstand Miravs Idee: Konnte man vielleicht in Deutschland durch einen Spendenaufruf die Mittel für die Operation aufbringen? Mirav brachte die Kosten der OP in Erfahrung. Zu diesen musste das Geld gerechnet werden, das für den nur mit Schleppern zu bewerkstelligenden Transport nach Aleppo erforderlich war. Und zwar für zwei Personen, denn Alias Vater musste das Mädchen begleiten. Das ergab eine Summe von 12.000 Euro, die im Spendenaufruf als Ziel genannt wurde.

Spendenaufruf nicht nur in der Lokalpresse

Klaus Schweizer, im Freundeskreis zuständig für Öffentlichkeitsarbeit, wusste aus seiner beruflichen Erfahrung als Redakteur, wie der Text zu formulieren war, der an die Zeitungen ging. Er forderte auch Fotos an, die in einem Zeitungsartikel unabdingbar seien. Mirav bekam diese von Alias Vater geschickt, und so wurde der Text mit zwei Bildern versehen: Alia vor den Verletzungen und danach.

Alia ist froh, dass die Augenoperation erfolgreich verlaufen ist. – Foto: privat

Der Aufruf ging, je nach Zielgruppe textlich abgewandelt, an alle Mailkontakte Miravs, an die Mailadressen ehemaliger Schüler und Schülerinnen, die sich noch in Heimfried Furrers Mailliste fanden, an die Mitglieder des Freundeskreises Flüchtlinge, an die ehemaligen Kollegen Furres am Max-Planck-Gymnasium, an zahlreiche Lahrer Firmen, deren Mailkontakte ausfindig gemacht werden konnten, an Bekannte, Nachbarn und Freunde.

Die Zeitungen druckten, in sehr unterschiedlichen Längen, den zugesandten Text ab oder berichteten kurz über die Aktion. Kritische Anfragen von Unbekannten wie von Freunden, telefonisch oder per Mail, mussten beantwortet werden: Warum so teuer? Warum keine OP in Deutschland? Solch ein Aufwand für eine Person von sicher Zigtausenden in ähnlicher Notlage, noch dazu fern von Deutschland? Wie komme das Geld sicher nach Syrien? War ein Erfolg garantiert?

Und dann schoss die Summe in die Höhe

Aber schon bald waren 8000, schließlich 9000 Euro auf den Spendenkonten erreicht, dann aber stagnierten die eingehenden Zahlungen. Ein zweiter Bericht, diesmal mit zwei anderen Bildern, ging zu Anfang des neuen Jahres an die Zeitungen. Und in den drei Tagen, nachdem die Lahrer Zeitung den ungekürzten Bericht mit den Fotos veröffentlicht hatte, schoss die Summe geradezu in die Höhe. Schnell war die angestrebte Summe erreicht, dann überschritten. Die Aktion endete schließlich mit einem Spendenbetrag von etwas mehr als 15.000 Euro, wie dem Spendenzähler auf der Website des Freundeskreises zu entnehmen war.

Alia vor der Operation – Foto: privat

Dankschreiben an die verschiedenen Spendergruppen sowie an Einzelpersonen und Texte für Website und Zeitungen hielten Heimfried Furrer und Klaus Schweizer beschäftigt, während Mirav die Übersendung des Geldes (aus Sicherheitsgründen in Raten) an den Vater von Alia (für Reise und Unterkunft) sowie an das Krankenhaus in Aleppo in die Wege leitete. Sie kontaktierte auch die Ärzte und organisierte die nicht ungefährliche Reise mit Schleppern nach Aleppo. Sie stand mit allen Beteiligten in Syrien in ständigem Telefonkontakt.

Danach musste ein neues, aber nicht unangenehmes Problem gelöst werden. Die Frage lautete: Was sollte mit dem gespendeten Geld geschehen, das die Kosten für Alias OP überstieg? Die Organisatoren interpretierten in Absprache mit den anderen Sprecherinnen und Sprechern des Freundeskreises den Willen der Spender so, dass sie die Operation eines geschädigten Kindes im Flüchtlingslager in Syrien ermöglichen wollten; also sollte das restliche Geld entsprechend verwendet werden.

Hilfe für zwei weitere Mädchen

Mirav erfuhr vom Schicksal eines weiteren Mädchens im Lager Al Shahbah, dem mit einer OP beziehungsweise Drainage ihres Wasserkopfes mit seinen schlimmen Folgen multipler Behinderung geholfen werden konnte. Sie ließ sich eine kleine Filmszene schicken, die Klaus Schweizer in den Artikel über den Erfolg der Aktion Alia auf der Website einfügte. Und in weiteren Telefonaten mit Alia und ihrer Familie erfuhr sie, dass noch ein Mädchen in dem beschossenen Kleinbus am Auge verletzt worden war und eine OP der Hornhaut brauchte. Ihre Sehkraft könnte so von jetzt 60 auf 100 Prozent verbessert werden.

Zwei weiteren Mädchen könnte geholfen werden: oben Barvin, unten Dunia. – Fotos: privat

Aber zunächst einmal ging es um die Hilfsaktion für Alia. Wahrscheinlich ist es für Außenstehende nicht leicht sich vorzustellen, welche Belastung die Spendenaktion für die Initiatoren bedeutete, vor allem aber für Mirav Sodo, die sich in der Hauptverantwortung sah. Würde das Ganze daran scheitern, dass Alias Vater und der verantwortliche Arzt sich nicht auf den Zahlungsmodus einigen konnten? Würde durch Rückmeldungen die Ankunft des Geldes bestätigt oder das Geld, wie so viele Dinge von Wert, von den marodierenden Milizen abgefangen werden? Würden Alia und ihr Vater sicher nach Aleppo gelangen?

Und vor allem: Würde die Operation gelingen? Sie war äußerst kompliziert, wurde von vier Ärzten verschiedener Fachrichtungen durchgeführt, weil nicht nur Metallsplitter aus Haut und Knochen der Augenumgebung entfernt und der Sehnerv des verbliebenen Auges repariert, sondern auch Knochen aus der Hüfte in den Knochen der Augenhöhle transplantiert werden mussten. Die OP dauerte sechs Stunden. Mirav war seit Beginn der Aktion in permanenter Anspannung und hing noch mehr als sonst am Telefon.

Klaus Schweizer machte die Texte für die Spendenaktion pressekonform und veröffentlichte sie auf der Website des Freundeskreises. – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge Lahr

Endlich die befreiende Nachricht

Am Mittwochabend, 17. Februar 2021, dann endlich die befreiende Nachricht: Alia war operiert worden, die Operation erfolgreich verlaufen. Im Telefonat mit Mirav schilderte Alia, wie glücklich sie sei, wenn bald die Schwellungen zurückgegangen seien und ein Glasauge eingesetzt werden konnte. „Dann sehe ich wieder normal aus. Und die Ärzte sagen, mein operiertes Auge wird wieder zu 100 Prozent sehen können.“ Alias Glück im Unglück rührten manche der beteiligten Personen zu Tränen.

Mirav Sidos dringendes Anliegen ist es jetzt, den Spenderinnen und Spendern ganz herzlich für ihre Empathie zu danken: „Sie haben durch ihre menschliche Geste das Leben eines jungen Menschen ganz entscheidend zum Guten gewendet.“

Weitere Infos zur Aktion

Einen Bericht über die Situation der Kurden im Norden Syriens gibt es von Mirav Sido unter dem Titel Die kurdische Kultur in Afrin soll ausgelöscht werden auf dieser Website. Einen Bericht über den Auftakt der Spendenaktion gibt es hier: Augenlicht von Alia. Weitere Berichte: Die Hälfte der Spendensumme ist geschafft und Rosel macht die 10.000 Euro voll. Die Spendenaktion ist ein Erfolg geworden: Das Geld für die Operation ist beisammen. Und schließlich ist auch die Operation gut über die Bühne gegangen: Die junge Alia ist in Aleppo an den Augen operiert worden. Für Fragen zu den Details der Aktion steht Heimfried Furrer telefonisch unter 07821 / 24126 zur Verfügung.